Mittwoch, der 08. Mai 2024

Miterlebt

Hannoversche Initiative fordert mehr Geld

Drinnen stellt die Verwaltung den per Videokonferenz zugeschalteten Mitgliedern des Rates der Stadt Hannover den Haushaltsplanentwurf für die nächsten beiden Jahre vor, draußen demonstrieren soziale Einrichtungen für mehr Geld: Aktive der „Hannoverschen Initiative für eine soziale Stadt – kurz HISS" – versammeln sich am 19. November 2020 vor dem Neuen Rathaus.

Mit den Eseln Hansi und Franzi vom Stadtteilbauernhof und dem Café-Bauwagen der Internationalen StadtteilGärten zogen Vertretungen aus neun sozialen Einrichtungen am 19. November vor das Neue Rathaus. Dort machten sie auf ihre schwierige finanzielle Situation aufmerksam, die sie für die nächsten beiden Jahre befürchten. Ihre Forderungen: Eine verlässliche Finanzierung ihrer sozialen Arbeit und Planungssicherheit für ihre insgesamt fünf freien Träger. Diese Organisationen sind zumeist gemeinnützige Vereine, auch eine Kirchengemeinde ist dabei. mehr siehe hier

Bereits einen Tag zuvor trafen Mitglieder der HISS-Initiative auf Oberbürgermeister Belit Onay. Der hatte seinen Antrittsbesuch im Stadtbezirksrat Bothfeld-Vahrenheide. Der OB sagte den HISS-Aktiven während der Sitzung zu, kurzfristig zu einem Gespräch einzuladen.

Deutlich wurde bei den Antworten des Oberbürgermeisters auf die von den Bezirksratsmitgliedern aufgeworfenen Fragen, dass die Reaktion auf diverse Problemlagen der Stadt soziale und präventive Angebote zur Begleitung von Menschen sein muss. An dieser Stelle setzten die HISS-Aktiven bei ihren Ausführungen an. Claudia Lutz, Sozialarbeiterin im Nachbarschaftsdienstladen im Sahlkamp, betont: „Die Haltung des OB zum Umgang mit sozialen Problemen ist sehr erfreulich. Dies unterstreicht einmal mehr die Forderung, den Stadtteil Sahlkamp gerade in Zeiten von Corona finanziell gut auszustatten.“ Letztlich seien es die freien Träger vor Ort, die, während viele Behörden „die Schotten dicht machten“, mit den Menschen im Sahlkamp in den Zeiten des Corona-Lockdowns weitergearbeitet haben. Und die auch jetzt im Teil-Lockdown weiterarbeiten. Die sozialen Einrichtungen und Projekte seien es, die den Rat suchenden Menschen Zugang zu alternativen, digitalen Angeboten ermöglicht haben und für sie da waren. Nina Krüger, Bereichsleiterin bei Pro Beruf, verdeutlicht die prekäre Lebenssituation vieler Bewohner: „Menschen, die im Alltag von sozialen Benachteiligungen betroffen sind, weil sie digital abgehängt sind, in beengtem Wohnraum leben müssen, Sprachdefizite haben oder in Armut leben, werden in Zeiten der Coronapandemie noch mehr abgehängt.“ Für sie gelte es, die soziale Arbeit im Sahlkamp und damit den sozialen Frieden im Quartier zu sichern. Krüger: „Die finanziellen und gesellschaftlichen Folgen – sollte ausgerechnet bei der Sozialarbeit im kommenden Doppelhaushalt der Rotstift angesetzt werden – sind nicht überschaubar, aber sicher sehr gravierend.“

OB Belit Onay machte in der Bezirksratssitzung deutlich, dass der Stadt Hannover die berufliche, soziale und gesellschaftliche Teilhabe aller Bewohnerinnen und Bewohner sehr wichtig sei. Es läge der Stadt ebenso am Herzen, lieb gewonnene Strukturen aufrechtzuerhalten. Dazu gehöre auch die Planungssicherheit bei der Finanzierung sozialer Angebote. Demgegenüber stünde allerdings die sehr angespannte Finanzsituation der Stadt, die aufgrund der Coronapandemie mit rund vierhundert Millionen Euro Mindereinnahmen umgehen muss. 

Zusammen benötigen die neun Einrichtungen für 2021 und 2022 zusätzlich zu den bisherigen städtischen Beihilfen insgesamt rund 325000 Euro, um ihre Arbeit erfolgreich fortsetzen zu können.

Um ihre Forderungen zu unterstreichen, haben die sozialen Einrichtungen die "Hannoversche Initiative für eine Soziale Stadt" (HISS) gegründet. Beteiligt sind daran die Internationalen StadtteilGärten Hannover e.V., der Pro Beruf Bildungsladen, der Stöber-Treff des Werkstatt-Treffs Mecklenheide e.V., der Kinder- und Jugendtreff Kiefernpfad des Verbands Christlicher Pfadfinder*innen e.V. (VCP), das Seniorenbüro Sahlkamp der evangelisch-lutherischen Epiphanias-Kirchengemeinde und vier Einrichtungen des SPATS e.V., das NaDu-Kinderhaus, der NachbarschaftsDienstLaden, der Stadtteilbauernhof und das Senior*innen-Aktiv-Zentrum.

Die Aktiven aus dem Sahlkamp sind sicher, dass es einen Weg geben kann, die zusätzlichen Mittel zur Verfügung zu stellen. Eberhard Irion, Geschäftsführer des Vereins Internationale StadtteilGärten Hannover, betont: „Voraussetzung dafür, dass es für unsere soziale Arbeit mehr Geld gibt, ist, dass der Rat der Stadt Hannover den entsprechenden politischen Willen dazu hat.“ Ob das der Fall sein wird, werden die politischen Diskussionen in den kommenden Wochen zeigen. Bezirksräte und die politischen Parteien haben bis zur entscheidenden Ratsversammlung am 25. März nächsten Jahres Zeit, Änderungen am Haushalt vorzunehmen. Ob dies allerdings in dem Maße geschieht, wie es die Einrichtungen zur Stabilisierung ihrer sozialen Arbeit benötigen, ist bisher unklar. So hat zwar Harry Grunenberg, Bezirksbürgermeister im Stadtbezirk Bothfeld-Vahrenheide, bei einem Treffen der Sahlkämper Einrichtungen mit Vertretungen aus den Bezirksratsfraktionen seine Unterstützung zugesichert. Auch Hannovers SPD-Vorsitzender Adis Ahmetovic hat – unterstützt von einigen Rats- und Bezirksratsmitgliedern der SPD – Ende Oktober mit den Einrichtungen gesprochen, ein weiteres Gespräch soll folgen. Ein weiteres Treffen wird es in Kürze mit OB Onay und den HISS-Aktiven geben.

Was eintreten wird, wenn der höhere Beihilfebedarf politisch nicht beschlossen wird, macht Ingrid Breuker, Mitglied im ehrenamtlichen Team des Seniorenbüros Sahlkamp, deutlich: „Unser Träger, die evangelisch-lutherische Epiphanias-Kirchengemeinde, müsste die Seniorenarbeit im Seniorenbüro Sahlkamp einstellen, da ein Büro ohne darin arbeitende Menschen und ohne Technik keinen Sinn ergibt.“ Das Seniorenbüro erhält bisher eine jährliche städtische Beihilfe von rund 3800 Euro. Benötigt werden wegen höherer Miet- und Mietnebenkosten in den ebenerdigen neuen Räumlichkeiten ab dem kommenden Jahr zusätzliche 2000 Euro.

Bei anderen Einrichtungen ist der Mittelbedarf höher: Die Defizite im Stadtteilbauernhof und im NaDu-Kinderhaus wurden jahrelang durch Projektförderungen ausgeglichen. Projekte bedeuten aber immer neue und zusätzliche Tätigkeiten und gehen zu Lasten der eigentlichen Arbeit. Laura Ihle, Geschäftsführung im NaDu-Kinderhaus, erläutert: „Wir müssen immer höhere Anteile der Arbeitszeit für die eigene Absicherung unserer Einrichtung aufwenden. So haben wir unter dem Strich weniger Zeit für unsere soziale Arbeit mit den Kindern. Außerdem gibt es für die beteiligten Einrichtungen mittlerweile kaum noch zusätzliche Finanzierungsquellen für weitere Projekte.“ HISS-Aktive Ihle fordert: „Die reguläre, jahrelange Arbeit muss verlässlich abgesichert werden. Daher muss die Ratspolitik zukünftig mehr für unsere finanzielle Grundfinanzierung tun. Denn die städtische Beihilfe, die wir für das NaDu erhalten, deckt noch nicht einmal die Hälfte unserer Kosten.“

Wolfgang Jarnot, Vorsitzender des SPATS-Vereins, erklärt die im Vergleich mit anderen städtischen Quartieren besondere Situation: „Unser Stadtteil ist einer der Stadtteile in Hannover, der viele Integrationsleistungen für die gesamte Stadt erbringt. Hier wohnen viele Menschen, die in prekären Verhältnissen leben. Sie haben einen hohen Beratungsbedarf, und viele junge Menschen brauchen eine umfangreiche individuelle Unterstützung“. Der Sahlkamp gehöre neben Stöcken, Mühlenberg, Oberricklingen Nord-Ost und Hainholz zu den Programmgebieten „Sozialer Zusammenhalt“. Diese Quartiere bedürfen verstärkter Aufmerksamkeit von Politik und Verwaltung, um soziale und bauliche Strukturen zu stärken.

Einen wesentlichen Aspekt von Planungsunsicherheit hebt Rudolf Schulz, Geschäftsführer von Pro Beruf, hervor: „Ein Detail in der Haushaltsplanung für die Einrichtungen ist augenscheinlich vielen politisch Verantwortlichen bisher kaum bekannt. Da der Rat der Stadt erst am 25. März über den gesamtstädtischen Haushalt für die beiden nächsten Jahre entscheidet, wird die Stadtverwaltung auch keine Abschläge auf die zu erwartenden Beihilfen im März 2021 auszahlen können.“ Vor allem die kleineren Träger der sozialen Arbeit wüssten deshalb nicht, wie sie die Personal- und Sachkosten für das erste Quartal 2021 vorfinanzieren sollen. Schulz betont: „Das ist ein großes wirtschaftliches Risiko für alle Einrichtungen.“ Die städtische Verwaltung und die Ratspolitik seien gefordert, hierauf rechtzeitig Antworten zu geben.

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